1. Im Tagebuch des britischen Botschafters DJABERNON in Berlin findet sich unter
dem 31. Dezember 1923 folgende Eintragung:
„Nun geht das Krisenjahr zu Ende. Die inneren und äußeren Gefahren waren so
groß, daß sie Deutschlands ganze Zukunft bedrohten. Eine bloße Aufzählung der
Prüfungen, die das Land zu bestehen hatte, wird einen Begriff davon geben, wie
schwer die Gefahr, wie ernst der Sturm war.
In den zwölf Monaten von Januar bis heute hat Deutschland die folgenden Gefahren überstanden ... Jeder dieser Gefahrenmomente, falls er nicht abgewendet worden
wäre, hätte jede Hoffnung auf eine allgemeine Befriedung vernichtet. Politische Führer in Deutschland sind nicht gewohnt, daß ihnen die Öffentlichkeit Lorbeeren spendet, und doch haben diejenigen, die das Land durch diese Gefahren
hindurchgesteuert haben, mehr Anerkennung verdient, als ihnen zuteil werden
wird.“
(zit. nach W. TORMIN (Hrsg.): Die Weimarer Republik, S. 129 f.)
a) Nennen Sie die „Gefahrenmomente“ des Jahres 1923, die der Autor in seinem
Rückblick anspricht, und stellen Sie dar, warum jeder Einzelne für den
Bestand der Republik eine Gefahr dargestellt hat.
b) An welche Politiker bzw. politischen Gruppen mag der Botschafter gedacht
haben? Begründen Sie deren Verdienste im Jahr 1923.
2. Im zweiten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl im April 1925 kandidierten neben
THÄLMANN (KPD) Wilhelm MARX (Zentrum) im Namen der Parteien der Weimarer Koalition (des „Volksblocks“) und HINDENBURG, auf dessen Kandidatur sich
die Rechtsparteien einschließlich der DVP im „Reichsblock“ geeinigt hatten. Studieren Sie bitte die entsprechenden Wahlaufrufe.
Wahlaufruf des Volksblocks (April 1925):
„An das deutsche Volk!
Der 26. April ist unser Schicksalstag! Hier Volksgemeinschaft – dort Kasten und
Interessenherrschaft, hier deutsche Realpolitik – dort leichtfertige Katastrophenpolitik, das ist es, worum es sich handelt.
Die Einheit der Verfassungstreuen hat einen Inhalt: das hohe Ziel einer wahren,
das ganze Volk in allen seinen Schichten zusammenfassenden Volksgemeinschaft.
Die Einigung des Rechtsblocks dagegen ist kraftlos, weil ihr kein gemeinsames Programm und kein positives Ziel die nötige Festigkeit gibt.
Der Rechtsblock weiß, daß er mit seinem Programm nicht siegen kann. Drum soll
bei ihm die Auswahl der Person die Mängel seiner Sache verdecken.
Vergebens! Das Spiel der Reaktion ist verloren, seitdem die verfassungstreuen Parteien sich im Volksblock geeinigt und Marx als gemeinsamen Kandidaten auf den
Schild erhoben haben.
Welch ein Wirrwarr im Lager der Reaktion 1.
Die einen haben sich mit der republikanischen Verfassung als Tatsache abgefunden
und so und so oft erklärt, auf dem Boden dieser Tatsachen zu stehen!
Die anderen sehen im haßerfüllten Kampfe gegen die Verfassung ihre politische
Hauptaufgabe und auch den eigentlichen Sinn für die Kandidatur Hindenburgs.
Die einen wollen mit Stresemann die deutsche Realpolitik fortsetzen, die mit den
Namen des verstorbenen Reichspräsidenten Ebert und seines wahrscheinlichen
Nachfolgers, unseres Kandidaten Marx, untrennbar verbunden ist.
Die anderen träumen und phantasieren mit Ludendorff und Hitler und schleifen
das Schwert der französischen und anderen Feinde Deutschlands.
Solche Gegensätze zu vereinigen, ist nicht möglich. Selbst zu ihrer Verkleisterung
reicht das Format des bisherigen Rechtskandidaten nicht aus. Deshalb, nur deshalb
zerrt man die große Soldatengestalt des greisen Feldmarschalls in den Wahlkampf
hinein.
Hindenburg selbst weiß und hat es offen erklärt, daß bei seinem hohen Alter seine
Kräfte für das höchste und schwerste Amt der Nation nicht ausreichen. Die Führer
der Rechten und ihre bedeutendsten Zeitungen wissen das auch und haben es wiederholt ausgesprochen. Sie alle wissen, daß der fern von aller Politik aufgewachsene
und alt gewordene Feldherr gar nicht in der Lage wäre, das Amt des Reichspräsidenten selbst zu verwalten, sondern daß er auch als Reichspräsident nur sein
würde, was er – unfreiwillig und ahnungslos – als Präsidentschaftskandidat jetzt
ist: das Aushängeschild für eine rücksichtslose Interessenpolitik derer, die sich so
gern die Staatserhaltenden nennen und doch nur sich vom Staate erhalten lassen
wollen.
Aber nicht ihm, dem Feldmarschall, den die Reaktion nur zum Zweck des Gimpelfanges vorgeschoben hat, gilt unser Kampf, sondern denen, die mit seinem Namen
Mißbrauch treiben.
Gegen diese innen- und außenpolitische Katastrophenpolitik stehen wir vom Volksblock zusammen wie ein Mann. Es gilt die Rettung des Reiches und die Rettung des
großdeutschen Einheitsziels. Nur wenn Marx siegt, kann unter dem alten schwarzrot-goldenen Symbol des großdeutschen Einheitsgedankens Deutsch-Österreich heimkommen ins Reich und auch das übrige von uns getrennte Grenzmark-Deutschtum
die Hoffnung auf die Heimkehr behalten.
Nur wenn Marx siegt, kann das Deutsche Reich endlich einen wirklichen Frieden
bekommen und in absehbarer Zeit seinen alten ehrenvollen Platz unter den großen
Nationen wieder einnehmen.
Also, deutsches Volk, an deinem Schicksalstage. Alle Mann an Deck!“
Wahlaufruf des Reichsblocks (April 1925)
„Deutsche Männer, deutsche Frauen, deutsche Jugend!
[Der jetzt verstärkte Reichsblock hat] beschlossen, dem deutschen Volke den Mann
für das Amt des Reichspräsidenten vorzuschlagen, dessen Name in aller Welt das
Programm deutscher Ehre, Treue, Kraft und Festigkeit bedeutet: Generalfeldmarschall von Hindenburg.
Hindenburg hat als der getreue Eckart des deutschen Volkes sich diesem Ruf nicht
entzogen, sondern sich in stets bewährter Pflichterfüllung bereit erklärt, das große
Opfer dieser Kandidatur zu bringen. Wir betrachten es als die ganz selbstverständliche Pflicht aller Deutschen in Stadt und Land ohne Unterschied des Standes und
des Bekenntnisses, sich mit ganzer Kraft und Hingabe für unseren Hindenburg einzusetzen. Hindenburg war Euer Führer in guter und schwerer Zeit. Ihr seid ihm
gefolgt, Ihr habt ihn geliebt, er hat Euch nie verlassen. Kämpft für ihn auch jetzt,
wo er in alter Führertreue wieder an Eure Spitze treten will, um seinem Vaterlande
im Frieden und Aufbau zu dienen. Unsere Losung lautet deshalb: Mit Hindenburg
zum Siege für die Einheit aller Deutschen, für christliche Art und sozialen Fortschritt, für des Vaterlandes Größe und Freiheit. Hindenburg, der Retter aus der
Zwietracht. Der Reichsblock.“
(zit. nach W. MICHALKA: Die ungeliebte Republik, S. 215 ff.)
a) Mit welchen Begriffen und mit welchen Argumenten wirbt der Volksblock für
seinen Kandidaten Wilhelm MARX?
b) Beurteilen Sie bitte Umfang und Art der Polemik gegen den Reichsblock.
(Interpretieren Sie einige dieser Argumente in Hinblick auf den Vorwurf:
„Wirrwarr im Reichsblock!“ usw.)
c) Wie beurteilen Sie im Volksblock-Aufruf die auffällig wohlwollende Haltung
dem Kandidaten HINDENBURG gegenüber?
d) Mit welchen politischen Vorstellungen wirbt der Reichsblock für HINDENBURG?
e) Erkennen Sie in der Sprache des Reichsblock-Aufrufs eine Anleihe an die
bestehende republikanische Staatsordnung?
3. Den langwierigen Prozess der Auflösung der demokratischen Ordnung in Deutschland haben wir Ihnen in Kapitel 7 dargestellt. Es bleibt jedoch eine offene Frage,
welchen Zeitpunkt man als das Ende der parlamentarischen Demokratie fixieren
soll. Der Historiker Arthur ROSENBERG z. B. schließt seine Darstellung über die
Weimarer Republik bereits mit den Ereignissen im Frühjahr 1930 ab. Alles, was
dann noch folgt, wird bei ihm als ein Nachspiel nur skizziert.
Versuchen Sie, diese Sichtweise, die Geschichte Weimars mit dem Scheitern der
„Großen Koalition“ enden zu lassen, zu würdigen bzw. kritisch zu kommentieren.
4. Lesen Sie den folgenden Aufruf der SPD zur Reichspräsidentenwahl (27. 2. 1932):
„Das deutsche Volk steht am 13. März vor der Frage, ob Hindenburg bleiben oder
ob er durch Hitler ersetzt werden soll. Die Rechte hat vor sieben Jahren Hindenburg auf den Schild gehoben. Sie hoffte, er würde sein Amt parteiisch zu ihren
Gunsten führen, seinen Eid verletzen und die Verfassung brechen. Es war selbstverständlich, daß wir Sozialdemokraten einen Bewerber, auf den unsere schlimmsten
Feinde solche Hoffnungen setzten, entschieden bekämpften. Hindenburg aber hat
seine einstigen Anhänger enttäuscht. Weil er unparteiisch war und es bleiben will,
weil er für einen Staatsstreich nicht zu haben ist, darum wollen sie ihn jetzt beseitigen. Hitler statt Hindenburg, das bedeutet Chaos und Panik in Deutschland und
ganz Europa, äußerste Verschärfung der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosennot,
höchste Gefahr blutiger Auseinandersetzungen im eigenen Volk und mit dem Ausland. Hitler statt Hindenburg, das bedeutet: Sieg des reaktionären Teils der Bourgeoisie über die fortgeschrittenen Teile des Bürgertums und über die Arbeiterklasse,
Vernichtung aller staatsbürgerlichen Freiheiten, der Presse, der politischen, gewerkschaftlichen und Kulturorganisationen, verschärfte Ausbeutung und Lohnsklaverei.
Gegen Hitler! Das ist die Losung des 13. März. Es gibt kein Ausweichen! Hitler oder
Hindenburg? Es gibt kein Drittes! Jede Stimme, die gegen Hindenburg abgegeben
wird, ist eine Stimme für Hitler. Jede Stimme, die Thälmann entrissen und Hindenburg zugeführt wird, ist ein Schlag gegen Hitler!
Jetzt geht es um alles! Sieg des Faschismus ist namenlose Schande, unabsehbares
Unheil. Das darf nicht sein! Setzt alle eure Kräfte ein, damit der entscheidende
Schlag schon im ersten Wahlgang fällt! Befreit mit diesem einen Schlag das deutsche Volk vor der faschistischen Bedrohung! Schlagt Hitler!
Darum wählt Hindenburg!“
(zit. nach W. MICHALKA: Die ungeliebte Republik, a. a. O., S. 320 f.)
Versetzen Sie sich nun bitte in die Situation eines SPD-Funktionärs, der Ende
Februar 1932 auf einer Wahlversammlung von Arbeitern seine Zuhörer davon
überzeugen will, dass sie jetzt unbedingt HINDENBURG zum Reichspräsidenten
wählen müssten. Welche Rede würden Sie in dieser Situation halten, da Ihnen klar
ist, dass der (hier wiedergegebene) Wahlaufruf der SPD die Zuhörer noch nicht voll
überzeugt hat. (Formulieren Sie bitte nur die Sätze Ihrer Rede, in denen Sie sich
argumentativ mit der zu vermutenden Kritik Ihres Publikums an dem Wahlvorschlag auseinander setzen.)