1. Fassen Sie den Text in seinen zentralen Aussagen zusammen.
2. Legen Sie dar, ob und inwieweit sich die Demonstranten von Stuttgart auf Rousseaus
Demokratie-Konzept berufen könnten.
3. Nehmen Sie abschließend Stellung zur Frage, „ob unsere politischen Institutionen unter
dem Einfluss partikularer Interessengruppen an Legitimität verloren haben“. (Z. 31/32 f.)
Gehen Sie dabei kritisch auf die Entwicklungsperspektiven der parlamentarischen De-
mokratie ein.© Fernschulen Hamburg© Fernstudienzentrum Hamburg
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Sozialkunde
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Zum Verhältnis von Parlamentarismus und Protest
„ (...) In Deutschland wiederum avancierte „Stuttgart 21“ zur Chiffre für man-
gelnde Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger und einen erhöhten Legiti-
mationsdruck politischer Entscheidungen. Das übliche parlamentarische Ver-
fahren politischer Entscheidungsfindung scheint den Bürgern nicht mehr
auszureichen; was legal ist, wird offenbar nicht mehr als legitim empfunden.
Dagegen wurde auch am Stuttgarter Fall konstatiert, dass sich „die repräsen-
tative Demokratie (...) den kollektiven Emotionen“ ausliefert. Demoskopen
wiederum haben ermittelt, dass sich die Haltung der Bürger gegenüber zwar
unbeliebten, aber demokratisch legitimierten Entscheidungen nicht stark ver-
ändert habe. Die Proteste in Stuttgart sind demnach nicht in einer neuartigen
Haltung dem Staat gegenüber begründet, sondern vor allem auf lokal- und
landespolitische Ursachen zurückzuführen.
Allerdings gibt es einen deutlichen Generationsunterschied bei der Frage, wel-
che Akzeptanz demokratische Entscheidungen finden: Jüngere Menschen se-
hen es zu zwei Dritteln als legitim an, gegen den Mehrheitsbeschluss eines
kommunalen Parlaments mittels Bürgerinitiativen oder Demonstrationen
vorzugehen, während fast die Hälfte der über 60-Jährigen den Beschluss als
gegeben hinnehmen (...). Jedenfalls wird seit dem Aufruhr im „Ländle“ in ei-
ner breiten Öffentlichkeit über Bürgerbeteiligung und das Verhältnis von re-
präsentierenden Politikern und repräsentierten Bürgern debattiert. Dabei sind
einige der kritischen Argumente gegenüber der Verfassungswirklichkeit schon
Jahrzehnte alt – der Begriff „repräsentativer Absolutismus“, der vor allem auf
die starke Stellung der Parteien zielt, existiert beispielsweise schon seit 35 Jah-
ren (...). Beflügelt wurde das Thema durch weitere Infrastrukturprojekte wie
etwa den Ausbau des Frankfurter und des Berliner Flughafens und im Zuge
der angekündigten Energiewende. Hinzu kam der Aufstieg der Piratenpartei,
in der vor allem junge Wählerinnen und Wähler eine politische Kraft sehen,
die neue Partizipationsformen ermöglicht, während andere Kommentatoren
ihr nur den Status einer Protestpartei zugestehen wollen. Unter all dem
schwelt seit geraumer Zeit die grundlegende Debatte, ob unsere politischen
Institutionen unter dem Einfluss partikularer Interessengruppen an Legitimi-
tät verloren haben. Selbst wenn man dieser – prominent von dem britischen
Politikwissenschaftler Colin Crouch in seinem vor allem in Deutschland viel-
beachteten Buch „Postdemokratie“ vertretenen – These nicht folgt, muss ein
massiver Vertrauensverlust des Politischen konstatiert werden; der im Lande
neu erwachte Protest ist eine Folge davon. (...)“
Textquelle: Textauszug aus Bergmann, Knut. Zum Verhältnis von Parlamenta-
rismus und Protest. APuZ 25–26. 2012: 17–23 (hier: 17–