1. Der fünfjährige Klaus spielt mit seinen Freunden auf einer Wiese Fußball. Bei einem kräftigen Schuss springt der Ball auf eine vorbeiführende Straße. Als Klaus dem Ball nachläuft, wird er auf der Straße von einem Auto erfasst und schwer verletzt. Bei der Untersuchung im Krankenhaus stellt der Arzt fest, dass nur eine sofortige Operation das Leben des Jungen, der nicht bei Bewusstsein ist, erhalten kann. Die Eltern von Klaus sind trotz mehrfacher Versuche nirgendwo zu erreichen, sodass deren Einwilligung nicht eingeholt, aufgrund der Schwere der Verletzungen aber auch nicht abgewartet werden kann.
a) Macht sich der Arzt Dr. A strafbar, wenn er trotz der gebotenen Eile Klaus nicht operiert, weil er zunächst die Einwilligung der Eltern zu der problematischen Operation einholen will? Begründen Sie Ihre Antwort unter Bezugnahme auf das StGB.
b) Macht sich Dr. A strafbar, wenn er Klaus ohne Einverständnis seiner Eltern operiert? Warum?
c) Angenommen, die Eltern von Klaus sind Mitglieder einer religiösen Vereinigung, die Operationen generell ablehnt. Macht Dr. A sich strafbar, wenn er in Unkenntnis dieser Tatsache Klaus operiert? Begründen Sie Ihre Antwort.
d) Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn Dr. A die Operation vornehmen würde, um das Leben des Jungen zu erhalten, obwohl die Eltern ihre Einwilligung verweigert haben? Begründen Sie Ihre Antwort.
2. Die 90-jährige Frau Engel ist seit vielen Monaten schwer krank und nicht mehr in der Lage, aus ihrem Bett aufzustehen. Geistig ist sie jedoch noch hellwach. Im Gespräch mit der sie versorgenden Krankenschwester erklärt Frau Engel eines Tages, dass sie ihr langes Leben würdevoll gelebt habe und ebenso würdevoll sterben möchte. Sie bittet die Krankenschwester darum, sie von ihrem Leiden zu befreien.
a) Macht sich die Krankenschwester strafbar, wenn sie dem Wunsch von Frau Engel entspricht? Warum?
b) Gehen Sie nun davon aus, dass die Krankenschwester unterstellt, Frau Engel möchte von ihren Leiden befreit werden, und ihr aus eigenem Entschluss ein tödliches Medikament verabreicht. Hätte sie sich hier strafbar gemacht? Weswegen?
3. Der Allgemeinarzt Dr. H erzählt seiner Gattin nahezu jeden Abend beim Essen, wer ihn im Laufe des Tages in seiner Sprechstunde aufgesucht habe und weshalb.
Frau H findet die Erzählungen ihres Mannes mitunter sehr amüsant und schreibt die einzelnen Anekdoten in einem Buch nieder, das sie unter ihrem Namen alsbald veröffentlicht und das sich glänzend verkauft. Zu den Lesern des Buches gehören auch Patienten des Dr. H, die sich in den Geschichten problemlos wiedererkennen, da ihre Namen nur unwesentlich verändert sind, und die über diesen Vertrauensbruch entsetzt sind.
a) Hat sich Dr. H durch die Weitergabe dessen, was sich in seiner Sprechstunde zuträgt, strafbar gemacht? Begründen Sie Ihre Antwort unter Bezugnahme auf das Gesetz.
b) Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn Frau H als Arzthelferin in der Praxis ihres Mannes tätig wäre und so zu den Informationen für ihr Buch gekommen wäre?
c) Angenommen, einige der Patienten des Dr. H, deren Krankengeschichte Frau H als Vorlage diente, sind inzwischen verstorben. Würde sich an der Weitergabemöglichkeit dann etwas ändern oder wäre die Veröffentlichung auch nach dem Tode der Patienten strafbar?
d) Stünde der Arzthelferin Frau H ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, sollte es zu einem gerichtlichen Vorgehen gegen Dr. H kommen? Begründen Sie Ihre Antwort.
4. Herr Müller hat den Eindruck, dass ein Muttermal auf seinem Bauch sich in letzter Zeit vergrößert hat. Er wendet sich daraufhin an seinen Hausarzt Dr. Seidenfuß, der ihn sicherheitshalber an seinen Kollegen, den Dermatologen Dr. Hautschön zur Klärung und eventuellen weiteren Behandlung überweist. Dr. Hautschön untersucht das Mal, erklärt Herrn Müller aber, er sehe für den Moment keinen Handlungsbedarf. Sollte das Mal sich in den nächsten Monaten weiter verändern, müsse man weitersehen.
Tatsächlich verändert sich das Mal in den nächsten Wochen erheblich. Während einer stationären Behandlung des Herrn Müller aus ganz anderem Grunde wird das Mal von Dr. Munter gleich mitentfernt, wobei sich nun herausstellt, dass das als ungefährlich eingestufte Muttermal tatsächlich ein bösartiger Krebs ist, den man längst hätte entfernen müssen.
Eine Einwilligung zur Operation oder eine Aufklärung der Risiken fand dabei nicht statt.
a) Kann Herr Müller Dr. Hautschön zur Verantwortung ziehen? Erläutern Sie, welche rechtlichen Verbindungen zwischen Herrn Müller und Dr. Hautschön bestehen und woraus sich die Haftung des Dr. Hautschön ergibt.
b) Kann Herr Müller auch gegen seinen Hausarzt Dr. Seidenfuß vorgehen? Warum?
c) Welche rechtlichen Möglichkeiten hat Herr Müller gegen Dr. Munter bezüglich der durchgeführten Operation, die ihm vielleicht letztlich das Leben gerettet hat? Begründen Sie Ihre Antwort.