Aufgabe 1:
Der untreue Prokurist
Günter ist am 5. Juni 2008 Prokura von der Nordbau GmbH, bei der er angestellt ist, erteilt worden. Dabei wurde vereinbart, dass die Prokura nicht berechtigt, über das Geschäftskonto zu verfügen. Die Prokura ist noch nicht im Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht, allerdings hat Dr. Scharf, der Geschäftsführer der Nordbau GmbH, bereits am 6. Juni 2008 den Antrag zur Eintragung der Prokura beim Handelsregister/Amtsgericht eingereicht und seine wichtigsten Geschäftspartner – auch die Sparkasse Nordheim – über die Erteilung der Prokura informiert. Am 10. Juni 2008 hebt Günter im Namen der Nordbau GmbH bei der Sparkasse Nordheim einen Betrag von # 60 000,– von dem Geschäftskonto der Nordbau GmbH ab und lässt sich das Geld sofort in bar auszahlen. Als Dr. Scharf am 12. Juni 2008 davon erfährt, widerruft er noch am selben Tag gegenüber Günter die Prokura, vergisst aber den bereits gestellten Antrag auf Eintragung der Prokura zurückzunehmen. Am 19. Juni 2008 wird die Prokura für Günter im Handelsregister eingetragen und auch ordnungsgemäß bekannt gemacht. Am 18. Juli 2008 hebt Günter erneut # 40 000,– von dem Geschäftskonto der Nordbau GmbH ab und verschwindet mit dem Geld. Dr. Scharf ist außer sich vor Wut und verlangt nun im Namen der Nordbau GmbH von der Sparkasse Nordheim, sie möge die # 100 000,– dem Konto der Nordbau GmbH sofort wieder gutschreiben.
Dr. Scharf argumentiert wie folgt:
Zunächst sei zwischen Günter und der Nordbau GmbH ausdrücklich vereinbart, dass die Prokura nicht berechtigt, über das Geschäftskonto zu verfügen. Außerdem sei Günter ja zu keinem Zeitpunkt Prokurist gewesen und konnte deshalb die Nordbau GmbH nicht wirksam vertreten. Bei der ersten Auszahlung über # 60 000,– am 10. Juni 2008 sei Günter ja in „Wahrheit“ noch kein Prokurist gewesen, da die Prokura zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Handelsregister eingetragen gewesen sei. Aber auch zum Zeitpunkt der zweiten Auszahlung am 18. Juli 2008 über # 40 000,– sei Günter kein Prokurist gewesen, da er, Dr. Scharf, die Prokura bereits am 12. Juni 2008 widerrufen habe.
Beurteilen Sie, ob Günter die Nordbau GmbH am 10. Juni und am 18. Juli 2008 jeweils wirksam vertreten und über das Geschäftskonto verfügen konnte. Gehen Sie dabei auf alle Argumente des Dr. Scharf ein.
Hinweis: Das Handelsregister wird bei den Amtsgerichten geführt. Dort herrscht Antragsverfahren. Einen gestellten Antrag kann man zurücknehmen, so lange die Eintragung noch nicht erfolgt ist.
Aufgabe 2:
Die Bürgschaft
P ist seit kurzem zum Prokuristen der Thüringen Kornbrand-GmbH ernannt worden, was ordnungsgemäß im Handelsregister eingetragen worden ist. Nachdem P bei dem Geschäftsführer der Thüringen Kornbrand-GmbH in Ungnade gefallen ist, widerruft der Geschäftsführer G die Prokura und meldet dies auch zur Eintragung in das Handelsregister an. Der Widerruf wird ordnungsgemäß in das Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht. Eine Woche später gibt der P im Namen der Thüringen Kornbrand-GmbH eine Bürgschaftserklärung über # 50 000,00 gegenüber der I-Bank per Fax ab. Die Bürgschaft hat die I-Bank als Sicherheit für den überzogenen Kontokorrentkredit einer der Tochtergesellschaften der Thüringer Kornbrand- GmbH verlangt. Als die Thüringen Kornbrand-GmbH drei Monate später aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wird, meint der Geschäftsführer G, zur Zahlung bestehe kein Anlass, da P nicht mehr Prokurist sei und dies auch ordnungsgemäß im Handelsregister eingetragen sei. Außerdem seien Bürgschaften stets schriftlich zu erklären. Die I-Bank meint dagegen, sie habe das Handelsregister innerhalb einer Woche nicht einsehen können und sei davon ausgegangen, dass P noch Prokurist gewesen sei. Außerdem sei die Bürgschaft in diesem Fall auch formlos wirksam. Deshalb müsse die Thüringen Kornbrand-GmbH zahlen.
Ist die Thüringen Kornbrand-GmbH zur Zahlung verpflichtet?