Fall 1
Der Getränkegroßhändler Boris Bierbauch (BB) wurde mehrmals vergebens zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 2016 aufgefordert. Daraufhin wurde er im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) zur Einkommensteuer
2016 veranlagt. Da dem Finanzamt bekannt war, dass er auch noch an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt war, wurden bei der Schätzung sowohl gewerbliche Einkünfte aus der Getränkegroßhandlung als auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angesetzt.
Der endgültige Einkommensteuerbescheid 2016 vom 16.03.2019 wurde am Dienstag den 17.03.2019 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. BB hatte früher wiederholt den Zugang von Steuerbescheiden, die mit einfachem Brief zur Post gegeben
waren, bestritten.
[...]
a) Prüfen Sie, ob der Einspruch fristgerecht eingelegt worden ist.
b) Wenn nein, kann ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden?
c) Wie ist über den Einspruch zu entscheiden?
d) Angenommen, der Einspruch sei unzulässig, kann das Finanzamt trotz Bestandskraft den Einkommensteuerbescheid 2016 im Sinne der Angaben in der Steuererklärung ändern?
e) Könnte eine Änderung des Einkommensteuerbescheides vorzunehmen sein, wenn am 25.04.2019 beim Finanzamt eine Mitteilung vom Finanzamt Mainz über die Höhe der anteiligen Einkünfte des BB aus der Grundstücksgemeinschaft eingeht und diese Einkünfte niedriger als geschätzt festgestellt worden wären?
Fall 2
An der Reinigungsfirma „Müller-GmbH“ in Mainz sind mit je 25 % der Stammeinlage Karin Müller (KM), Monika Roth (MR) und die Rein und Klar GmbH (RKGmbH) beteiligt. Alle Gesellschafter haben ihre Einlagen voll erbracht. Die übrigen Beteiligungen sind breit gestreut.
KM ist auch an der RK-GmbH mit 10 % beteiligt. MR und der Kleingesellschafter Max Meier (MM) sind Einzelgeschäftsführer der Müller-GmbH.
KM ist Eigentümerin eines unbelasteten Grundstückes mit Gebäude, auf dem die Müller-GmbH ihren Betrieb führt. Sie hat hierzu mit der Müller-GmbH einen langfristigen Mietvertrag geschlossen.
MR hat aus Haftungsgründen mit eigenen Mitteln 2 Lastwagen gekauft, die sie an die Müller-GmbH vermietet hat.
Im Herbst 2018 kam die Müller-GmbH in Liquiditätsschwierigkeiten. Sie musste
ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten erheblich aufstocken. Dafür forderte und erhielt die Mainzer Bank den Maschinenpark sicherungsübereignet. Außerdem verpflichtete die Bank in den Kreditbedingungen die Müller-GmbH, alle Überweisungen und
Auszahlungen über 500,00 € dem Leiter der zuständigen Filiale zur Zustimmung vorzulegen.
[...]
a) Prüfen Sie gutachterlich, ob und womit und ggf. nach welchen Vorschriften KM, MR, MM und eventuell die Bank im Haftungswege für die rückständigen Umsatz- und Lohnsteuern in Anspruch genommen werden können.
b) Bis wann spätestens müsste das Finanzamt eventuelle Haftungsbescheide erlassen, damit keine Verjährung des Haftungsanspruchs eintritt?
c) Wie können evtl. Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden? Bestehen etwaige Gegebenheiten, die die Inanspruchnahme verhindert bzw. verzögert?